Angie

Angie, Angie, when will those clouds all disappear?
Angie, Angie, where will it lead us from here?“
Mick Jagger und Keith Richards landeten 1973 mit „Angie“ einen Nummer 1 Hit. Damals hatten Wolken noch nicht die Bedeutung, die sie heute haben. Die „Cloud“ war noch nicht erfunden.
Angela Merkel wird oft mit diesem Song in Verbindung gebracht. Heute hat das sicher auch eine tiefsinnigere Bedeutung. Denn von der Bundesregierung ist nichts zu lesen oder zu hören, wenn es um eine Stellungnahme zu den Machenschaften der Schlapphüte, oder Maßnahmen zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung in der EU geht. Die Kanzlerin schweigt oder hüllt sich in schlichte Plattitüden, anstatt eine eindeutige Stellung gegenüber den USA zu vertreten. Warum?

Laut Spiegel und Guardian hat die NSA Einrichtungen der EU verwanzt und infiltriert. Neben traditionell als ideologischen Feinden der USA klassifizierten Ländern und sensiblen Nahost-Staaten umfasst die Liste der Ziele weiterhin französische, italienische und griechische Botschaften sowie eine Reihe von anderen Verbündeten der Amerikaner wie Japan, Mexico, Südkorea, Indien und die Türkei. In Deutschland werden monatlich rund eine Milliarde Kommunikationsverbindungen überwacht, zu denen Telefonate, Mails, Kurznachrichten und Chatbeiträge zählen. Usw., usw …

Aber wie stellen sich die politisch Verantwortlichen zu diesen Themen? Bevor Details bekannt wurden, hat Bundespräsident Gauck die Auffassung vertreten, er hätte kein Problem mit Überwachung, solange sie verhältnismäßig ist. Darüber hinaus hätte er für Snowden kein Verständnis, wenn er denn Verrat am Staat begangen hat. Schimmert da womöglich Gaucks DDR-Vergangenheit durch? Als selbsternannter, ehemaliger Freiheitskämpfer der DDR hat er für das Volk gekämpft, gegen den Staat, und das hat ihn zu dem gemacht, was er heute ist. Alles schon vergessen? Mag ja sein, dass man sich an Überwachungsverhältnisse gewöhnen kann, aber in der BRD gibt es eine verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre, die insbesondere ein Bundespräsident zu schützen hat.

Innenminister Friedrich zweifelte nicht daran, „dass sich die USA an Recht und Gesetz halten“. Zudem habe er auch keine Hinweise darauf, „dass irgendjemand in Deutschland an Aktionen beteiligt ist, die nicht rechtmäßig waren. Wir arbeiten auf der Grundlage unserer Gesetze.“ In einem Interview hieß es seinerseits: „Jetzt sage ich Ihnen mal was: Noch bevor man überhaupt weiß, was die Amerikaner da genau machen, regen sich alle auf, beschimpfen die Amerikaner. Und diese Mischung aus Anti-Amerikanismus und Naivität geht mir gewaltig auf den Senkel.“ Des weiteren verwies er auf gesetzliche Grundlagen, mit denen deutsche Behörden potenzielle Terroristen, verdächtige Kriminelle und Personen überwachen würden, die die Demokratie und den Rechtsstaat beseitige wollten.
Ach ja? Kommt uns dieses Vokabular nicht bekannt vor?

Spannend wird diese Frage, weil Edward Snowden nachgelegt hat und deutlich wird, dass nicht nur Zivilisten der Überwachung durch die USA unterliegen, sondern auch Regierungssysteme und die EU. Jetzt werden plötzlich und unerwartet Stimmen laut, die Begriffe verwenden wie „unerträglich“, „abscheulich“, „ niemand ist mehr sicher“. Besonders süffisant ist die Aussage von Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn: „Alles wird von den USA damit begründet, man bekämpfe den Terrorismus. Aber die EU und ihre Diplomaten sind keine Terroristen“.
Und was, lieber Herr Asselborn, ist mit den Bürgern der EU? Solange Sie und Ihre Politkumpanen sich sicher fühlten, gab es in der EU keinerlei Bedenken, den Sicherheitsapparat auszubauen und z.B. die Vorratsdatenspeicherung, die Übermittlung von Flugdaten der EU – Bürger in die USA oder SWIFT gut zu heißen. Jetzt, wo sie feststellen müssen, dass die Amerikaner keinen Unterschied zwischen Diplomaten und Zivilpersonen machen, ist die Empörung groß. Jetzt, wo auch die politische Elite als „terrorverdächtig“ gilt, stellt sich die Frage an die Verantwortlichen: Wie steht es sich denn so, ohne Rückgrat?

Und wo ist hier unsere Bundesregierung zu sehen? Seit 9/11 werden die Bürgerrechte immer weiter eingeschränkt, alles unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung. Automatische Kfz-Kennzeichenerfassung, Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsdaten, Kontenüberwachung, Flugpassagierdatenübermittlungen in die USA, Luftsicherheitsgesetz, verdachtsunabhängige Personenkontrollen, Datenabgleiche zwischen Polizei und Verfassungsschutz, Videoüberwachung im öffentlichen Raum, Kreditscoring, Bonitäts- und Kreditwürdigkeitsanalyse, Kfz-Ortung, Biometrische Pässe und vieles mehr. Alles gesetzlich legitimiert.

Um Herrn Friedrichs Auffassung zu den gesetzlichen Grundlagen des Überwachungsstaates BRD zu kommentieren: Es war Wolfgang Schäuble, der sich mehrfach in seiner Funktion als Bundesinnenminister und Vorgänger von Friedrich Diskussionen mit den damaligen Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier für dessen Verständnis des Grundgesetzes angelegt hat. Welch Geistes Kind Herr Schäuble ist, wird aus einem Interview mit Hans–Jürgen Papier deutlich. Es ging seinerzeit um den Entwurf eines neuen Luftfahrtgesetzes, in dem der Abschuss von Passagierflugzeugen als letzte Maßnahme erlaubt sein sollte, „wenn davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist“. Das Bundesverfassungsgericht urteilte im Februar 2006, dieser Paragraf verstoße gegen das Grundrecht auf Leben und gegen die Menschenwürde und erklärte ihn für verfassungswidrig. Papier erklärte hierzu, die zwingenden verfassungsrechtlichen Hürden würden auch für ein neues Luftsicherheitsgesetz mit Abschussoption kaum zu nehmen sein. Schäuble sagte darauf in der Welt, Verfassungsrichter seien für “Ratschläge zur Ausgestaltung solcher Gesetze nicht demokratisch legitimiert” und postulierte weiterhin, dass “alle grundrechtlich geschützten Bereiche irgendwo enden”. Wo diese Grenzen liegen, sei seiner Ansicht nach “Sache des Gesetzgebers”.

Dieser Gesetzgeber in Gestalt des Kabinett Merkel hat die Grundlagen eines Überwachungsstaates im BKA-Gesetz verankert. Das „Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt“ ist zum 01. Januar 2009 in Kraft getreten und beinhaltet Dinge wie: Online-Durchsuchung, Rasterfahndung, Einsatz von verdeckten Ermittlern, akustische und optische Überwachung von Wohnungen und Telekommunikationsüberwachung. Zudem hat das BKA im Rahmen der sog. „Vorfeldermittlung“ das Recht erhalten, präventive Ermittlungen ohne konkreten Tatverdacht in eigener Regie durchzuführen, wobei das BKA nicht der Leitungsbefugnis durch die Staatsanwaltschaft unterliegt.

Gegen dieses Gesetz ist eine Verfassungsbeschwerde anhängig, in der unter anderem der damalige ZEIT-Herausgeber Michael Naumann als einer der Beschwerdeführer auftritt. Seine Sicht der Dinge hat er in einem Artikel in der ZEIT dargestellt, in dem es u.a. heißt: „Präventiv tätig werden kann das BKA {auf Basis dieses Gesetzes} zur Abwehr internationaler terroristischer Verbrechen. Wohin und auf wen die Beamten ihren Verdacht auch lenken – das Gesetz steht ihnen bei, und niemand, auch nicht die Bundesanwaltschaft, kann sie aufhalten.“

Solange das Bundesverfassungsgericht sich nicht gegen das Gesetz ausspricht, ist dies die Grundlage der Arbeit des BKA. Das ist es, was Innenminister Friedrich meint, wenn er sagt: „Wir arbeiten auf der Grundlage unserer Gesetze“. Ich würde nicht behaupten, Herr Friedrich will die Nation für dumm verkaufen, weil ja Jedermann die Möglichkeit hat, diese Aussagen zu hinterfragen. Aber wenn ich so etwas aus den Medien erfahre, habe ich das Bild eines amerikanischen Politikers im Hinterkopf, der vor laufenden Kameras Kinder knuddelt und ihnen dabei die Lollies aus der Tasche zieht.

Der geneigte Leser wird sich selbst die Frage beantworten können, warum Merkel zur Schlapphutaffäre schweigt. Aber eines dürfte klar werden. Wer sich gegen Bespitzelungen anderer zur Wehr setzt, sollte selbst eine weiße Weste haben. Alles andere ist unglaubwürdig. Anders ausgedrückt mit dem kategorischen Imperativ des Immanuel Kant: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Oder auch: Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu … Und vor allem: Lass dich nicht erwischen, wenn du es trotzdem tust.

Und so hat selbst Herr Friedrich – angesichts der jüngeren Entwicklung um Edward Snowden – seine strikte Haltung zu Überwachung offensichtlich überdacht. Er scheint lernfähig zu sein, da sein jüngster Kommentar zu den Schlapphüten lautet, es sei „richtig, dass wir immer um die Balance von Freiheit und Sicherheit ringen müssen“ und man „dürfe das Sicherheitsstreben nicht so weit überziehen, dass die Freiheit Schaden nimmt.“

Jürgen Trittin hat jüngst postuliert, Edward Snowden sollte „in Europa eine entsprechende, sichere Unterkunft haben, denn er hat Europa einen Dienst erwiesen, indem er einen massiven Angriff auf europäische Bürger und Unternehmen offenbart hat“ und „dies könne unter Umständen auch in Deutschland geschehen“. Für Demokratien sei es peinlich, dass „Snowden bei Despoten Unterschlupf finden muss, die selbst mit den Grundrechten auf Kriegsfuß stehen“.

Fragt sich, ob Angela Merkel es auch so sieht, dass Snowden sich laut Trittin „mit einem massiven Grundrechtsverstoß um die Demokratie verdient gemacht hat“ und er deswegen von der Bundesregierung geschützt werden sollte.

Im September ist Wahl. Wird auch diese Wolke an Angie vorbeiziehen?

2 Gedanken zu „Angie“

  1. Pingback: Die rote Pille
  2. Hallo Michael, echt schade, dass du kein Betriebsrat bist 🙂
    Und auch schade, dass mir sowas nicht einfällt.

    Gruß
    Jens

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